Arbeitslosigkeit ist kein Randphänomen

02. Dezember 2013

Für viele Menschen ist Arbeitslosigkeit weit weg, oft werden „die Arbeitslosen“ als eine Gruppe „am Rande der Gesellschaft“ angesehen. Arbeitslosigkeit ist aber längst kein Randphänomen mehr, sie ist bereits in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen: im ersten Halbjahr 2013 hat sie immerhin rund 711.000 Menschen in Österreich betroffen. Und Arbeitslosigkeit hat viele Gesichter.

In unseren Köpfen herrscht oft noch ein Bild von der durchgehenden Vollzeit-Erwerbstätigkeit vor. Arbeitslos wird man da nur in den seltensten Fällen. Doch das entspricht längst nicht mehr der Realität: Brüche in den Erwerbskarrieren, Wechsel von unselbständiger und selbständiger Beschäftigung oder Auszeiten für Bildung oder Angehörigenbetreuung gehören für viele Menschen zum Erwerbsleben dazu und damit auch Phasen der Arbeitslosigkeit.

Zahlen, Daten, Fakten …

Im ersten Halbjahr 2013 waren durchschnittlich 287.021 Menschen beim AMS als Arbeit suchend gemeldet. Zählt man noch jene Personen hinzu, die sich in einer Schulungsmaßnahme des AMS befanden, waren es 363.131 Menschen. Gegenüber dem ersten Halbjahr 2012 ist das ein Plus von +8,7%. Da die Beschäftigung nicht in dem gleichen Ausmaß gewachsen ist (+0,6% im Vgl. zum 1. Halbjahr 2012), lag die Arbeitslosenquote in Österreich in der ersten Jahreshälfte 2013 bei 7,7% und die Tendenz ist leicht steigend (aktuelle Daten November 2013). Die Betroffenheit von Arbeitslosigkeit (also Personen die zumindest einen Tag im 1. Halbjahr 2013 beim AMS arbeitsuchend registriert oder in einer Schulung waren) ist weitaus höher: mehr als 710.000 Menschen waren von Arbeitslosigkeit betroffen.

Typologie der Arbeitslosigkeit

Eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts (Wifo) im Auftrag des Arbeitsmarktservice (AMS) hat gezeigt, dass sich Typologien von Arbeitslosigkeitsverläufen – in Bezug auf die Zahl der Arbeitslosigkeitsepisoden, die Dauer dieser Episoden sowie die kumulierte Anzahl an Arbeitslosigkeitstagen im Beobachtungszeitraum – feststellen lassen. Betrachtet wurden die Erwerbsverläufe und Arbeitslosigkeitsepisoden jener Personen, die im Jahr 2010 von Arbeitslosigkeit betroffen waren, das waren rund 831.000 Menschen. Die AutorInnen arbeiten  in der Studie acht Arbeitslosigkeitstypologien heraus, die sich – ganz grob gesprochen – in drei Hauptkategorien unterteilen lassen:

Rund ein Drittel (ca. 267.000 Personen) sind lt. Wifo eher kurzzeitig arbeitslos und das auch nicht besonders lange: nur rund 60.000 von diesen Personen waren zumindest einmal länger als ein halbes Jahr arbeitslos. In dem 5-jährigen Beobachtungszeitraum in Summe aber trotzdem wenig.

Für die größte Gruppe (rund 290.000 Menschen) gehören, beispielsweise aufgrund von Saisonbeschäftigung, (kürzere) Phasen der Arbeitslosigkeit zu ihrem Erwerbsverlauf dazu, da die Branchen (wie der Tourismus) oft gar keine andere Möglichkeit bieten. Rund 40% dieser Menschen werden beim selben Arbeitgeber wieder beschäftigt.

Leider gibt es aber auch Personen die länger auf Arbeitsuche sind. Rund 274.000 Personen waren in Summe in dem 5-jährigen-Beobachtungszeitraum länger arbeitslos (mehrere Arbeitslosigkeitsepisoden mit zumindest 183 Tagen bzw. in Summe länger als ein Jahr). Sie bekommen aufgrund der Qualifikation, des Alters oder schlichtweg aufgrund der schlechten Auftragslage in einzelnen Branchen kaum eine Chance auf einen Arbeitsplatz.

Genügt die Arbeitslosenversicherung diesen Realitäten?

Die derzeitige Form der Arbeitslosenversicherung wird den oben beschriebenen Realitäten nicht mehr wirklich gerecht. Viele Personen sind immer wieder in arbeitslos, da Beschäftigungsverhältnisse nicht auf Dauer eingegangen werden, insbesondere  in den Branchen Gastronomie/Tourismus oder der Arbeitskräfteüberlassung. Die Menschen befinden sich gewissermaßen in einer „Drehtür“ zwischen Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Für viele sind die Beschäftigungsdauern zu kurz, um wieder eine neue Anwartschaft für das Arbeitslosengeld zu erhalten.

Jene die länger arbeitslos sind, beziehen nach max. 20 bis 52 Wochen (je nach Alter und Dauer der arbeitslosversicherungspflichtigen Beschäftigung) kein Arbeitslosengeld mehr, sondern sind auf die Notstandshilfe angewiesen. Die Anzahl der NH-BezieherInnen ist im Vergleich zum Vorjahr doch relativ deutlich angestiegen (+7,9%). Viele Menschen, und hier sind überwiegend Frauen betroffen, können jedoch aufgrund der Anrechnung des PartnerInneneinkommens erst gar keine Notstandshilfe beziehen. Wenn man einen Anspruch auf diese Leistung hat, liegt das Niveau oft unter jenem der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Durchschnittlich bekam eine Frau, die 2012 NH bezogen hat, nur 612€ monatlich. Weil das  zum Leben oft nicht ausreicht, müssen die Betroffenen die Leistung mit der Mindestsicherung aufstocken.

Mögliche Ansatzpunkte

Man müsste vor allem bei der Anhebung der Leistungshöhen (ALG/NH), der Verlängerung der maximalen Bezugsdauern des Arbeitslosengeldes und der Streichung der Anrechnung von Partnereinkommen in der Notstandshilfe ansetzen.

Auch bei der Betreuung von Arbeit Suchenden muss man sich stärker an den individuellen Lebensverläufen der Menschen orientieren. Mit der oft sehr knapp bemessenen Beratungszeit der AMS-BeraterInnen für ihre KundInnen ist ein solches Eingehen auf den/die Kunden/in oft nur sehr schwer möglich.