Arbeitsbedingungen am Bau – nicht nur körperlich, sondern immer mehr auch psychisch belastend!

29. Juli 2015

Belastende Arbeitsbedingungen, wie Heben und Tragen schwerer Lasten, Arbeiten in Zwangshaltungen, oftmaliger Wechsel der Einsatzorte und häufig unangenehme Witterungsverhältnisse sind branchentypische Charakteristika für das Bauwesen. Zusehends verschärft werden die physischen Belastungen durch enormen Termin- und Zeitdruck, der auch die psychische Gesundheit gefährdet. Die Folgen äußern sich u. a. in mehr Krankenstandstagen als das der Durchschnitt der Arbeitnehmer/-innen hat. Nicht einmal die Hälfte glaubt daran, ihre derzeitige Arbeit bis zur gesetzlichen Pension durchhalten zu können. Qualitative Interviews eröffnen einen Einblick in die Arbeitsbedingungen von Bauarbeitern/-innen.

 

Eckdaten zur Baubranche

Im Jahr 2014 waren in der Baubranche in Österreich laut Statistik Austria 232.000 unselbständig Erwerbstätige in 32.469 Unternehmen beschäftigt. Sie leisten einen wichtigen Beitrag für die heimische Volkswirtschaft – zahlen allerdings einen hohen Preis dafür, weil sie im Vergleich zu anderen Branchen häufig belastenden Arbeitsbedingungen ausgesetzt sind. Vor allem Witterung, Staub, Lärm, schwere körperliche Anstrengung, einseitige körperliche Belastung und Arbeit unter Zwangshaltungen zählen dazu. Auswertungen des Arbeitsgesundheitsmonitors der Arbeiterkammer Oberösterreich von 2008 bis 2014 zeigen, dass sich Bauarbeiter/-innen im Branchenvergleich häufiger durch Termin- und Zeitdruck bei der Arbeit belastet fühlen: 35 Prozent der Beschäftigten am Bau sagen, dass sie sich dadurch stark oder sehr stark belastet fühlen – im Branchendurchschnitt sind es 26 Prozent.

Dekoratives Bild © A&W Blog
© A&W Blog

 

Negativrekord bei Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten

Jeder fünfte Arbeitsunfall (Seite 1) passiert am Bau: 2014 waren es 17.742 von insgesamt 87.093 Arbeitsunfällen (ohne Unfälle auf dem Weg zur Arbeit und von der Arbeit nach Hause). Etwa 60 von 1.000 (Unfallrate) Beschäftigten erleiden pro Jahr einen Arbeitsunfall – so viele, wie in keiner anderen Branche. Im Branchendurchschnitt liegt hier der Wert bei 25. Laut Eurostat passieren 22,2 Prozent aller schweren und tödlichen Unfälle im Bauwesen. Die meisten Unfälle im Baubereich passieren dabei nicht im Betrieb, sondern bei Montagetätigkeiten und Arbeiten auf Baustellen. Das Risiko ist dort aufgrund sich täglich ändernder Arbeitsumgebungen und hohen Zeitdrucks besonders hoch.

Auch bei den Berufskrankheiten (Seite 14) nimmt das Bauwesen den unrühmlichen ersten Platz ein. 2014 erkannte die AUVA insgesamt 1.327 Fälle von Berufskrankheiten an. Alleine davon entfielen 219 auf das Bauwesen. Lärmschwerhörigkeit trat mit 149 Fällen dabei am häufigsten auf.

Durchhalten bis zur Pension nur schwer möglich

Zum Regelpensionsalter in Pension zu gehen, ist in der Bauwirtschaft fast nicht möglich. Viele müssen krankheitsbedingt deutlich früher das Arbeitsleben beenden. Mehr als die Hälfte der am Bau Beschäftigten glaubt laut Auswertungen des Arbeitsklima Index nicht daran, bis zur Pension durchhalten zu können. Nur 47 Prozent der Arbeitnehmer/-innen in der Baubranche halten es für sehr oder eher wahrscheinlich, ihren Job bis zum gesetzlichen Pensionsantrittsalter noch ausüben zu können. Hier sind die Arbeitnehmer/-innen anderer Branchen mit 65 Prozent deutlich optimistischer.

Krankenstände hoch – obwohl viele auch krank zur Arbeit gehen

Bauarbeiter/-innen in Oberösterreich waren im Jahr 2014 13,6 Kalendertage im Krankenstand – also länger als der Durchschnitt aller Arbeitnehmer/-innen mit 12,6 Kalendertagen. Besonders bei den Muskel-Skelett Erkrankungen liegt das Bauwesen an vorderster Stelle: Bauarbeiter/-innen sind durchschnittlich um einen ganzen Tag länger (3,5 Kalendertage) aufgrund dieser Diagnose im Krankenstand als Arbeitnehmer/-innen anderer Branchen (2,5 Kalendertage).

Die Krankenstandsdaten bilden aber nur einen Teil der Wirklichkeit ab. Denn 38 Prozent der Bauarbeiter/-innen gehen auch dann zur Arbeit, wenn sie sich eigentlich krank fühlen. Das ergeben die Auswertungen des Arbeitsgesundheitsmonitors 2014. Während der Saison vermeiden viele einen Krankenstand und kämpfen sich durch. Die Winterarbeitslosigkeit wird dann vielfach zur Regeneration genützt, was aber auf Dauer nicht gesund ist. Die hohe Beschäftigungsunsicherheit am Bau, Arbeitsdruck und der Wille, die anwesenden Kollegen/-innen nicht im Stich zu lassen, spielen hier eine große Rolle.

Qualitative Interviews untermauern Befragungsergebnisse

In meiner Masterarbeit mit dem Thema „Arbeitsbedingungen in der österreichischen Bauwirtschaft – Status Quo, Herausforderungen und Handlungsempfehlungen“ habe ich mich mit der Arbeitsrealität auf den heimischen Baustellen beschäftigt. Dazu wurden Bauarbeiter aus dem Hoch-, Tiefbaubereich und dem Baunebengewerbe befragt. Die Bauarbeiter sind selbst die Experten ihrer Arbeitsbedingungen – nachfolgend werden einige Schlussfolgerungen und Zitate aus den geführten Tiefeninterviews dargestellt:

Baufirmen sparen auf Kosten der Gesundheit

„Es dauert mit dem Kran länger. Man braucht einen Mann mehr. […] Wir haben zwar einen Bagger, einen Lastwagen und einen Baukran da gehabt – die sind aber gestanden während wir die Steine gesetzt haben. […] Der junge Polier hat die Bagger- und Kranfirma heimgeschickt, weil er die dann nicht zahlen muss und er Geld spart. Kreuzweh hat in 90 Prozent mit dem Heben zu tun – wenn du mit Schaufeln und Krampen graben musst.“ (31-jähriger Spengler)

Zeitdruck bewirkt, dass die Beschäftigten krank zur Arbeit kommen und Sicherheitsmaßnahmen unzureichend ausgeführt werden

Ausnahmslos alle Befragten berichten über das hohe Arbeitstempo und die viel zu engen Zeitvorgaben bei Bauprojekten.

„Ein Kollege war im Krankenstand, […], da hätten wir unbedingt noch betonieren sollen. Ich habe gesagt, dass ich mich dazu nicht im Stande sehe. Dann ist sogar einer vom Krankenstand gekommen, da haben sie den noch geholt. […] Öfter ist es schon so, dass du gerne in den Krankenstand gehen würdest, dann kannst du aber nicht gehen, wenn du halbkrank bist.“ (57-jähriger Maurer)

„Ja, früher hast zur Arbeit noch Zeit gehabt, heute nicht mehr.“ (57-jähriger Maurer)

„Heute muss im Vergleich zu früher alles schneller fertig werden. Du bekommst einen Fertigstellungstermin. Dann planen Sie die Baustelle gleich mal mit weniger Leuten. Wenn es dann zum Ende hin geht und Sie sehen, dass es sich wirklich nicht ausgeht, dann bekommst vielleicht alle 14 Tage einen Mann dazu.“ (50-jähriger Bauarbeiter)

Kein Durchhalten bis zur Pension

„[…] wenn ich mir vorstelle, dass es so weiter geht, wie es bei uns derzeit der Fall ist, dann kann ich es mir nicht vorstellen bis zur Pension zu arbeiten. Ich bewundere wirklich viele, die Maurer sind und bis zur Pension durchhalten.“ (31-jähriger Bauarbeiter)

Knappe Personalbemessung ist gängige Praxis und belastet die Beschäftigten enorm

„Man minimiert […]: Was früher acht Personen getan haben, machen jetzt nur mehr vier. Solange du mittun kannst, musst du mittun, ansonsten bekommst von der Firma einen Tritt. Wenn du sagst, du bist das nicht mehr im Stande, dann können sie dich nicht mehr brauchen.“  (56-jähriger Maurer und Polier)

Wenig Wertschätzung für die Arbeit der Bauarbeiter/-innen

„Wenn der Chef bei 39 Grad aus dem klimatisierten Wagen aussteigt und sagt‚ da habt ihr nicht schön gespachtelt‘ […] – da stehst du zehn Stunden in der prallen Sonne und hast 200 m² gespachtelt […]. Man darf da die Hitze nicht vergessen, da trocknet der Kleber stellenweise am Werkzeug fest. Oder du wartest drei Wochen auf dein Material und dann wird gefragt, warum ihr nichts weitergebracht habt.“ (39-jähriger Maurer)

Leasingarbeiter haben einen noch geringeren Stellenwert

„Beim Estrich herausreißen und beim Schutt tragen, da kommen dann die Leasingarbeiter und die tragen dann raus.“ (51jähriger Maurer und Polier)

„Wenn es zum Schluss hin geht, dann macht man es mit den eigenen Leuten fertig. Die Leasingmitarbeiter kommen dann wieder weg. Als Leasingarbeiter wirst du wie ein frisch Angelernter eingestuft, mehr zahlen die einfach nicht […].“ (59-jähriger Leasingarbeiter)

Kontrolle und Strafen würden wirken

„Die Sicherheitsvorschriften könnte man noch verbessern. Wir hätten Plastikkappen, die man über eingeschlagene Eisenpflöcke geben kann, damit man sich nicht aufspießen kann. Der Sicherheitsinspektor war da und hat gesehen, dass nirgends Kappen drauf waren. Dreimal war er da und dreimal hat er eine Stange gefunden, auf der keine Schutzkappe drauf war, also mussten wir Strafzahlungen leisten. Jetzt haben wir die Kappen wieder mit – vorher nicht.“ (31-jähriger Spengler)

Handlungsempfehlungen

Um die Situation der Beschäftigten auf Österreichs Baustellen nachhaltig zu verbessern, wurde mit der Abkehr vom Billigstbieter- hin zum Bestbieterprinzip eine wirkungsvolle Maßnahme beschlossen. Zukünftig sollen ausschließlich seriöse Unternehmen den Zuschlag für Bauprojekte bekommen, die u. a. für gute Arbeitsbedingungen unter Einhaltung der Schutzvorschriften sorgen (z. B. Arbeitszeitbestimmungen, Arbeitnehmer/-innen-Schutz etc.) und somit auch gesamtgesellschaftlich und wirtschaftlich einen wichtigen Beitrag leisten.

Zudem soll eine Gewichtsreduktion der Baustoffe (bei Ziegeln, Fertigbetongebinden etc.), viele können sich an die Gewichtsreduktion der Zementsäcke von 50 auf 25 kg erinnern, und der verstärkte Einsatz von Trage- und Hebeeinrichtungen forciert werden. Beim Einsatz von Kränen, Liften oder Ähnlichem darf dabei nicht gespart werden.