Warum alternative Geldsysteme keine Lösung sind

09. Februar 2015

Die Krise der letzten Jahre hat tiefe Wunden hinterlassen. Offensichtlich ist unser Wirtschaftssystem immer weniger in der Lage, angesichts von Arbeitslosigkeit, Armut und Verteilungsschieflagen sein Wohlfahrtsversprechen für eine breite Mehrheit der Bevölkerung einzulösen. Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen über Alternativen nachdenken. Einen logischen Ansatzpunkt bildet das Finanzsystem, das ein zentraler Auslöser der Krise war. Die Ideen zu alternativen Geldsysteme (100%-Geld, Vollgeld), die in jüngster Zeit immer mehr Unterstützung finden, schießen jedoch über das Ziel hinaus.

100%-Geld – Ein monetaristisches Konzept aus den 1930er-Jahren

Die Idee des 100%-Gelds wurde von den Monetaristen im Chicago der 1930er-Jahre geboren und später von Irving Fisher und Milton Friedman vertreten („Chicago Plan“). Ein Working Paper des IMF hat sie zuletzt wieder aufgegriffen. Das Grundprinzip von 100%-Geld ist leicht verständlich: Banken sollen künftig 100 Prozent ihrer Einlagen mit Zentralbankreserven besichern. Dadurch soll verhindert werden, dass eine Bank in einen Liquiditätsengpass gerät und von ihren SparerInnen „gestürmt“ wird. Ein weiterer (beabsichtigter) Effekt einer solchen Reform ist, dass eine Bank nur dann einen Kredit vergeben kann, wenn sie gleichzeitig von der Zentralbank einen Kredit in derselben Höhe bekommt. Die Zentralbank soll so in die Lage versetzt werden, die Geld- und Kreditmenge direkt steuern zu können. Kreditblasen und Finanzkrisen sollten in dieser Welt der Vergangenheit angehören.

Die Absicht dieses Konzepts ist vernünftig, es scheitert allerdings an der Durchführung. Eine direkte Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank funktioniert nur in der monetaristischen Theorie. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass die Menge des verfügbaren Geldes das Wirtschaftswachstum bestimmt. Die Geldmenge wird dann gemäß dem erwarteten (durch technischen Fortschritt und Bevölkerungswachstum bedingten) langfristigen Wirtschaftswachstum festgelegt. Konjunkturelle Schwankungen würden zu einer Veränderung des Zinssatzes führen und damit zu einer entsprechenden Glättung des Zyklus.

Die direkte Steuerung der Geldmenge durch die Zentralbank wurde in den 1970er- und 1980er-Jahren versucht und war ein wichtiges Element des aufkommenden Neoliberalismus. In der Realität hat sie allerdings nie funktioniert. In den 1990er-Jahren sind die Zentralbanken weltweit wieder dazu übergegangen, anstelle der Geldmenge direkt die Zinsen zu steuern.

Mit 100%-Geld würden die Probleme einer Geldmengensteuerung allerdings zurückkehren. Wie in der monetaristischen Theorie soll in so einem System die Höhe des Zinssatzes durch Geldangebot und -nachfrage bestimmt werden. Die Nachfrage nach Krediten – und damit die Höhe der von den Banken benötigten Reserven – werden allerdings durch die Konsum- und Investitionsentscheidungen der privaten Haushalte und Unternehmen bestimmt. Diese werden vom wirtschaftlichen Umfeld und den Erwartungen hinsichtlich der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung maßgeblich beeinflusst und ändern sich laufend. Eine schwankende Kreditnachfrage stößt somit auf ein unflexibles, an einem langfristigen Wachstumspfad ausgerichtetes Angebot. Das würde dazu führen, dass die Zinsen – einer der wichtigsten Preise in einer Volkswirtschaft – wesentlich stärker schwanken als bisher.

Die Höhe der Kreditzinsen ist so wichtig, dass eine Zentralbank sie auch in einem 100%-Geldsystem nicht ignorieren kann. Versucht sie den Zinssatz jedoch zu stabilisieren, so muss sie den Banken kurzfristig Kredite gewähren oder Geld entziehen. Sie würde damit de facto die Geldmengensteuerung aufgeben. Im Unterschied zu heute wird der Zinssatz allerdings nicht direkt gesteuert, sondern indirekt über die Geldmenge beeinflusst. Die Steuerung wird dadurch komplizierter und anfälliger für Schwankungen.

Vollgeld schafft zusätzliche Probleme

Vollgeld ist eine Variante des 100%-Gelds, und findet vor allem im deutschen Sprachraum Unterstützung (z.B. die Vollgeld-Initiative in der Schweiz). In einem Vollgeldsystem haben Banken keine Möglichkeit mehr, durch die Vergabe von Krediten neues Geld zu schaffen. Alles Geld kommt direkt von der Zentralbank und wird über den Staat in Umlauf gebracht. KonsumentInnen und Unternehmen sollen die Möglichkeit haben ihr Geld auf unverzinste und sichere Konten zu legen. Alternativ können sie es den Banken als riskantere Einlagen zur Verfügung stellen, damit diese das Geld in Form von Krediten weitergeben. Der Zinssatz ergibt sich dabei einerseits aus dem Kreditangebot, also der Bereitschaft der SparerInnen, ein gewisses Ausfallsrisiko einzugehen, und der Nachfrage nach Krediten andererseits.

Zu den oben angeführten Problemen der Geldmengensteuerung gesellen sich in einem Vollgeldsystem noch weitere Schwierigkeiten, die dieses System instabiler und anfälliger für Blasen macht als das bisherige. In einer Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs und der allgemeinen Euphorie sind SparerInnen viel eher bereit, ein gewisses Risiko einzugehen. Wächst die Wirtschaft kräftig, dann sind die erwarteten Profite der Unternehmen hoch und das Ausfallsrisiko von Krediten gering. Es ist daher zu erwarten, dass viele SparerInnen ihr Geld von sicheren und unverzinsten Konten auf risikobehaftete, aber dafür Zinsen abwerfende Konten transferieren. Das Kreditangebot steigt damit stark und führt dazu dass der Zinssatz entsprechend sinkt. Damit wird der Aufschwung mit allen seinen Übertreibungen – Vermögenspreisblasen und ein starker Anstieg der Verschuldung – verstärkt. Nachdem dem Platzen einer solchen Blase flüchten die SparerInnen üblicherweise wieder in sichere Anlageformen. In der Folge würden die Banken die Kreditvergabe einschränken und der Zinssatz steigt. Die Krise wird so vertieft. In einem Vollgeldsystem würde der Finanzsektor also weiterhin prozyklisch wirken. Im Gegensatz zu heute hätte die Zentralbank allerdings wesentlich weniger Möglichkeiten, dem entgegenzuwirken. Da sie den Banken in der Regel keine Kredite gewährt oder ihnen Geld entzieht, kann sie auch den Zinssatz nicht direkt beeinflussen.

Regulierung des Finanzsektors an Stelle alternativer Geldsysteme

Alternative Geldreformen alleine lösen also die wesentlichen Probleme des Finanz- und Bankensystems also nicht. Der Finanzsektor würde weiterhin prozyklisch wirken und die Gefahr von Kredit- und Vermögenspreisblasen bleibt bestehen. Die BefürworterInnen dieser Reformen schlagen daher meist zusätzliche Maßnahmen vor, die auf die Stabilisierung des Finanzsektors abzielen. Die Umsetzung solcher Maßnahmen würde künftige Krisen allerdings auch ohne die begleitende Einführung eines alternativen Geldsystems verhindern.

Sinnvoll wäre beispielsweise Geschäfts- und Investmentbanken streng zu trennen und beide auf ihre eigentliche Aufgabe zu reduzieren. Geschäftsbanken sollten Spareinlagen entgegennehmen und Kredite für Realinvestitionen vergeben. Die Kreditvergabe an andere finanzielle Institutionen muss hingegen eingeschränkt werden. Investmentbanken wiederum sollten langfristig gebundenes Kapital in langfristige Investitionen schleusen. Eine solche Trennung würde verhindern, dass sich der Finanzsektor übermäßig aufbläht und so das Potential für eine Krise entsteht. Sinnvoll wäre auch die Besteuerung großer Vermögen, um so das „Spielkapital“ auf den Finanzmärkten zu reduzieren. Außerdem sollte die Finanzierung öffentlicher Aufgaben weitgehend unabhängig von den Finanzmärkten erfolgen.

Die Stärken des aktuellen Geldsystems – Flexibilität, dezentrale Kreditvergabe, unmittelbare Zinssteuerung – würden dabei bestehen bleiben. Eine Geldreform würde genau diese Elemente beseitigen. An den wahren Krisenursachen – der prozyklischen Kreditvergabe sowie der Größe und Komplexität des Finanzsektors – geht sie hingegen vorbei.